Die Kindergrundsicherung sollte das große Versprechen der Ampel werden – einfach, gerecht, automatisch.
Weniger Bürokratie, mehr Unterstützung für die, die sie wirklich brauchen. Millionen Kinder sollten davon profitieren. Doch Anfang 2025 steht fest: Die Reform ist nicht gekommen. Was groß angekündigt wurde, ist am Ende an politischen Machtkämpfen, Haushaltsgrenzen und Verwaltungsrealität gescheitert. Was bleibt, sind viele offene Fragen – und ein System, das weiterhin nicht alle erreicht.
Was war die Kindergrundsicherung?
Die Kindergrundsicherung war ein politisch geplantes Reformprojekt mit dem Ziel, bestehende staatliche Leistungen für Kinder zu bündeln und Kinderarmut gezielt zu bekämpfen. Statt vieler Einzelanträge und komplizierter Berechnungen sollten Familien künftig eine zentrale, automatisch berechnete Leistung erhalten.
Die Idee: Mehrere bestehende Leistungen – etwa Kindergeld, Kinderzuschlag, der Kinder-Regelsatz aus dem Bürgergeld sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets – sollten zusammengeführt werden. Ziel war es, etwa 5,6 Millionen Kinder zu erreichen, darunter rund zwei Millionen Kinder aus Haushalten mit Bürgergeldbezug. Der Fokus lag auf sozialer Gerechtigkeit: Jedes Kind sollte – unabhängig vom Einkommen der Eltern – das bekommen, was es für eine gute Entwicklung braucht.
Die geplante Kindergrundsicherung hätte aus mehreren Bausteinen bestanden. Ein sogenannter Kindergarantiebetrag sollte dabei das heutige Kindergeld ablösen und allen Kindern zustehen – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Die Höhe dieses Betrags sollte regelmäßig an die Preisentwicklung angepasst werden, um Kaufkraftverluste auszugleichen. Ergänzt werden sollte dieser Garantiebetrag durch einen einkommensabhängigen Zusatzbetrag, der insbesondere Familien mit geringem Einkommen helfen sollte, besser über die Runden zu kommen. Je nach Alter des Kindes und Haushaltslage sollte dieser Betrag unterschiedlich ausfallen.
Zusätzlich war geplant, Bildungs- und Teilhabeleistungen pauschalisiert in das System zu integrieren, etwa über ein Schulstarterpaket oder Beiträge für Sportvereine, Musikunterricht oder Nachhilfe.
Die Kindergrundsicherung war damit nicht nur als finanzielle Hilfe gedacht, sondern auch als Instrument zur gesellschaftlichen Teilhabe. Kinder sollten nicht von Vereinsmitgliedschaften oder Bildungschancen ausgeschlossen sein, nur weil das Einkommen der Eltern nicht reicht. Die Auszahlung der Leistungen sollte möglichst automatisiert erfolgen – ohne komplizierte Anträge, damit alle Familien das bekommen, was ihnen zusteht.
Obwohl das Konzept breite Zustimmung fand, wurde die konkrete Umsetzung politisch stark diskutiert. Fragen der Finanzierung, der Verwaltungsreform und der konkreten Ausgestaltung verzögerten das Vorhaben mehrfach. In ihrer Grundidee bleibt die Kindergrundsicherung aber ein wichtiger Impuls für ein gerechteres Aufwachsen in Deutschland – mit dem Anspruch, jedes Kind unabhängig vom sozialen Hintergrund bestmöglich zu fördern.
Warum wurde die Kindergrundsicherung 2025 nicht umgesetzt?
Der Start war ursprünglich für den 1. Januar 2025 geplant – gekommen ist es nie dazu.
Stattdessen wurde das Vorhaben von internen Koalitionskonflikten, Haushaltsstreit und technischen Problemen ausgebremst – und schließlich vom Ende der Ampel-Koalition im November 2024 endgültig gestoppt.
Koalitionsinterner Streit über Finanzierung und Verwaltungsstruktur
Der zentrale Streitpunkt: Die Finanzierung.
Familienministerin Lisa Paus (Grüne) forderte anfangs 12 Milliarden Euro jährlich. Nach politischen Verhandlungen wurde das Budget auf 2,4 Milliarden Euro reduziert. Trotzdem blieb besonders ein Punkt umstritten: Die geplante Schaffung von 5.000 neuen Stellen für einen zentralen Familienservice. Finanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte das entschieden ab.
Für ihn war die Idee, dass der Staat eine Bringschuld für Sozialleistungen habe, „verstörend“.
Seine Linie: Der Sozialstaat müsse „fitter, nicht fetter“ werden – nicht weiterwachsen. Der Streit um den Umfang der Reform wurde damit zur Grundsatzdebatte innerhalb der Koalition.
Frühzeitige politische Absage durch Finanzministerium
Bereits im Juli 2024 stellte Lindner öffentlich klar, dass das Projekt in dieser Legislaturperiode nicht mehr umgesetzt werden würde.
Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, man werde stattdessen am bestehenden Kindersofortzuschlag festhalten und den Kinderzuschlag anpassen – aber für eine große Reform fehle es an Haushaltsmitteln und Struktur. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz bestätigte im Sommer 2024, dass ein zweiter Reformschritt nicht mehr geplant sei.
Mit dem Zerbrechen der Ampel-Koalition im November 2024 war das Projekt politisch endgültig gestorben. In den wenigen verbleibenden Sitzungswochen bis Weihnachten hatte die geschäftsführende Regierung keine Chance mehr, ein komplexes Gesetz wie die Kindergrundsicherung durchs Parlament zu bringen.
Stattdessen legte Bundeskanzler Scholz fest, welche Vorhaben vorgezogene Priorität erhielten: Dazu gehörten Steuererleichterungen, das Rentenpaket, Reformen im Asylbereich und Industriehilfen – die Kindergrundsicherung war nicht dabei.
Was passierte stattdessen?
Nach dem Aus der Kindergrundsicherung blieb das bestehende System in seiner bisherigen Form erhalten – zersplittert, bürokratisch und für viele Familien schwer zugänglich.
Um dennoch ein politisches Signal zu setzen, beschloss die Bundesregierung einige kleinere Anpassungen: Zum 1. Januar 2025 wurde das Kindergeld um 5 Euro auf 255 Euro pro Monat erhöht. Auch der Kinderzuschlag, der gezielt Eltern mit geringem Einkommen unterstützen soll, wurde auf 297 Euro monatlich angehoben. Diese Maßnahmen waren vor allem ein symbolischer Ausgleich für das gescheiterte Reformprojekt – strukturell änderten sie nichts.
Statt einer grundlegenden Vereinfachung bleibt das deutsche Familiensystem damit auch weiterhin ein Flickenteppich aus Einzelmaßnahmen: Anspruchsberechtigte müssen mehrere Anträge stellen, Leistungen sind nicht miteinander abgestimmt, und viele Hilfen kommen gerade bei jenen Familien nicht an, die sie am dringendsten brauchen. Expertinnen und Experten wie Stefan Sell betonten, dass diese Mini-Reformen dem eigentlichen Ziel – der Bekämpfung von Kinderarmut – nicht gerecht werden.
Mit den Neuwahlen am 23. Februar 2025 ist die politische Zukunft der Kindergrundsicherung ungewiss. Ob das Projekt wieder aufgegriffen wird, hängt vom neuen Regierungsbündnis ab. Die Parteipositionen dazu unterscheiden sich deutlich:
- Die Grünen halten weiterhin an der Kindergrundsicherung fest.
- Die SPD zeigte sich zuletzt zurückhaltender, aber offen für eine Reform.
- Die CDU/CSU spricht von einer Bündelung der Leistungen, lehnt aber pauschale Auszahlung ohne Bedürftigkeitsprüfung ab.
Eine Umsetzung – wenn überhaupt – wäre nicht vor 2026 oder 2027 realistisch.
Das "Aus" der Kindergrundsicherung ist ein verpasstes Signal
Aus unserer Sicht ist das Scheitern der Kindergrundsicherung ein verpasstes Signal – sozialpolitisch, gesellschaftlich und strukturell.
Die Idee, zentrale Leistungen für Familien zu bündeln und Kinderarmut systematisch zu bekämpfen, war richtig und notwendig. Gerade in einem wohlhabenden Land wie Deutschland sollte es selbstverständlich sein, dass jedes Kind – unabhängig vom Einkommen der Eltern – die gleichen Chancen auf Bildung, Teilhabe und Entwicklung bekommt.
Dass die Reform letztlich an politischen Grabenkämpfen, Verwaltungsfragen und Haushaltsgrenzen gescheitert ist, zeigt vor allem eines: Kindheit hat in der politischen Prioritätensetzung nicht das Gewicht, das sie verdient. Statt einer echten Strukturreform gibt es auch 2025 nur kleine Korrekturen am bestehenden System – das weiterhin unübersichtlich, antragslastig und für viele Familien schwer zugänglich bleibt.
Wir bei beatvest glauben: Kindergrundsicherung wäre mehr gewesen als eine Sozialleistung. Sie hätte ein Signal gesetzt für Fairness, Zukunftsfähigkeit und einen handlungsfähigen Staat. Dass sie vorerst nicht kommt, ist enttäuschend – vor allem für die Millionen Kinder, um die es eigentlich gehen sollte.